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Wenn Erika Abschied vom Oberwald nimmt

Sie liebt es, in den Hügeln zwischen Wyssachen und Dürrenroth den Sonnenaufgang zu erleben. Genauso sehr mag sie die Anwesenheit von Kindern während eines Ferienlagers. Doch ab Frühling 2025 wird beides für Erika Jenzer nicht mehr zur Tagesordnung gehören. Die allseits beliebte Köchin und Hüttenwartin des Langenthaler Ferienheims Oberwald geht nach Abschluss dieser Saison endgültig in Pension. Diesen Schritt könne sie mit einem lachenden und einem weinenden Auge vollziehen, sagt die 65-Jährige. Lachend, weil sie für ihren nächsten Lebensabschnitt bereits viele schöne Pläne hat.

 

Vier dicke Gästebücher in 33 Jahren: Erika Jenzer nimmt Abschied vom Ferienheim Oberwald. – Bild: Patrick Jordi
Vier dicke Gästebücher in 33 Jahren: Erika Jenzer nimmt Abschied vom Ferienheim Oberwald. – Bild: Patrick Jordi

 

Dieser Artikel ist am 18. Oktober 2024 in der Lokalzeitung Unter-Emmentaler erschienen.

 

Ein regnerischer Dienstagvormittag. Die Hügellandschaft zwischen Wyssachen und Dürrenroth ist wolkenverhangen. Drinnen, im gemütlich warmen Aufenthaltsraum des Ferienheims Oberwald, nimmt Erika Jenzer wieder an einem der Esstische Platz. Sie war kurz aufgestanden, um für ihr Gegenüber die dicken Gästebücher des Ferienheims hervorzuholen. Vier sind es inzwischen an der Zahl. Dicke Schinken. Der früheste Eintrag im ersten Buch stammt von 1992. Damals, am 1. Mai 1992, trat Erika Jenzer ihre Stelle als Köchin und Hüttenwartin im Oberwald an.

Heuer macht die inzwischen 65-Jährige also ihre 33. Saison (April bis Oktober) im allseits beliebten Ferienheim der Langenthalerinnen und Langenthaler (zur Geschichte des Hauses: siehe Infobox weiter unten). Es ist ihre letzte. Offiziell ist Erika nämlich schon seit dem 31. Mai 2023 pensioniert. Nun tritt sie – nach einer Zusatzschlaufe als «gute Seele des Oberwalds» – definitiv in den Ruhestand über. Nächsten Frühling, wenn das Ferienheim per April 2025 für die nächste Saison herausgeputzt und hergerichtet wird, wird eine neue Köchin und Hüttenwartin in die Fussstapfen von Erika treten. Renate Kopp heisst die Nachfolgerin – Lars Schlapbach, Präsident der Stiftung Ferienheim Oberwald, bestätigt den Neuzugang der 49-Jährigen und somit die definitive Ablösung von Erika Jenzer als langjährige Köchin und Hüttenwartin.

 

Starke Frau mit grossem Herz

Zurück zu den Gästebüchern: Erika blättert gedankenversunken in einem der Wälzer. «Du bisch s beschte Hütte-Mami, wome cha ha!», steht dort auf einer Seite in Kinderschrift geschrieben. Ein Beispiel von unzähligen. Erika ist gerührt, wenn sie diesen und andere Einträge aus den letzten 33 Jahren studiert. «Du musst wissen – ich bin recht nahe am Wasser gebaut», sagt sie. Etwas, das man Erika so nicht unbedingt geben würde. Mit ihrer beachtlichen Grösse und ihrem Temperament strahlt die Frau aus Bützberg nämlich etwas zutiefst Mütterliches, Starkes und Respektables aus.

Ein Erscheinungsbild, das in den letzten drei Jahrzehnten auch vielen Kindern, die im Oberwald zu Gast waren, Eindruck gemacht hat. Die scheidende Hüttenwartin erinnert sich an manchen Lausbuben und an diverse mehr oder weniger durchtriebene Mädchen, die – beim Anblick und im Umgang mit der «Hausherrin» – plötzlich ganz kleinlaut und folgsam gestimmt waren. «Ich bin tolerant, habe aber eine klare Linie. Die Kinder sind zu mir korrekt, weil ich zu ihnen korrekt bin», sagt sie.

 

Authentisch und gradlinig

Diese Erfahrung durfte vor etlichen Jahren auch der Autor dieses Beitrags machen – während einer Landschulwoche einer Langenthaler Elzmatt-Schulklasse nämlich.

Der Eindruck ist geblieben: Erika, ein Mensch mit unverändert grossem Herzen, verständnisvollem Charakter und authentischen, gradlinigen Wesenszügen. Sie weiss genau, was sie will (und was sie nicht will) – könnte dabei aber sprichwörtlich keiner Fliege etwas zuleide tun.

So gibt es bei ihr in diesen Tagen und Wochen zum Abschied das eine oder andere Tränchen. Tränen flossen diesen Sommer beispielsweise auch bei der Verabschiedung durch den Tambourenverein Langenthal – eine Gruppe von Männern, die Erika Jahr für Jahr mit einem Übungswochenende im Oberwald beehrte. Dieses Mal schenkten die Langenthaler Tambouren ihrer geliebten und fürsorglichen Freundin eine Urkunde und ernannten sie kurzerhand zum Ehrenmitglied ihres Vereins. Wie viel ihr solche und ähnliche Gesten bedeuten, muss hier gar nicht weiter erklärt werden. Wer Erika von ihren «Buebä» reden hört (die Tambouren), der weiss, was Sache ist.

 

Vom Servieren zum Kochen

«Eigentlich bin ich zufällig zu diesem Job im Oberwald gekommen», sagt die 65-Jährige rückblickend. Erika lebte, abgesehen von einer kurzen Unterbrechung, immer in Bützberg und arbeitete in Langenthal. Ihre Lehre zur Lebensmittelverkäuferin absolvierte sie von 1975 bis 1977 bei Tona. Später war sie in der Spanischen Weinhalle und im Sternen als Servicekraft tätig. Dort wurde sie von Peter Baumgartner, damals Präsident der Stiftung Oberwald, angesprochen. Er erwähnte, dass im Langenthaler Ferienheim eine Stelle in der Küche frei sei und schlug vor, dass sie als Köchin anfangen könnte. Erika war überrascht, denn sie hatte bisher kaum selbst gekocht – ganz im Gegensatz zu ihrer Mutter und Grossmutter, die beide Köchinnen waren. Doch weil sie den Serviceberuf satt hatte, entschied sie sich, die Herausforderung anzunehmen.

Inzwischen strahlt die Oberwald-Hüttenwartin, die mit ihren zwei Brüdern auf einem Bauernhof in Bützberg aufwuchs, Souveränität aus. Als Köchin hat sie den ganzen Ablauf in der Küche im Griff und die Pfannen im Auge. So trifft man sie während der von April bis Oktober dauernden Saison im Oberwald oft auf ihrem Lieblingsplatz auf der Holzbank vor dem Kücheneingang an. Hier lässt sie Beine und Seele baumeln und geniesst Natur und Sonne. «Im Oberwald ist es schön und nicht so hektisch wie anderswo», sagt Erika, die sich als «überzeugte Singlefrau» bezeichnet.

 

Tägliches Pendeln während der Saison

Eigentlich teilt die Tierliebhaberin ihr Zuhause in Bützberg mit vier Katzen. Im Moment sind es allerdings nur drei – weil eines ihrer «Schätzchen» nach wie vor vermisst wird. Tagsüber hält ihr Vermieter, Heinz Sommer, ein Auge auf die Katzen. Denn Erika ist zu dieser Zeit ja im Ferienheim. Während der Saison pendelt sie jeden Tag von Bützberg in den Oberwald und wieder zurück – in aller Herrgottsfrüh beziehungsweise nicht selten auch in den späten Abendstunden, versteht sich. «Es ist meine persönliche Entscheidung, ich möchte lieber nicht im Ferienheim übernachten, mein Zuhause ist mir wichtig und gibt mir ein bisschen Distanz von der Arbeit», begründet Erika ihr regelmässiges Pendeln quer durch den halben Oberaargau, was ihr jedoch überhaupt nichts auszumachen scheint.

Zu ihren grössten Leidenschaften zählt das Jassen. Das ganze Jahr über trifft sie sich mit einer grossen Gruppe jeweils am Dienstagnachmittag zum gemeinsamen Kartenspiel. «Geklopft» wird traditionellerweise in einer Beiz. Heute – an diesem trüben und nassen Dienstag – kommt die Gruppe im Chrump in Röthenbach zusammen. Man wechselt jedoch ab; auch das Meilenstein in Langenthal und das Bad Gutenburg ausgangs Lotzwil werden von den Jassern berücksichtigt. «Darum muss ich mich jetzt dann schon bald auf den Weg machen», erklärt sie ihrem Interviewpartner und wirft gleichzeitig einen Blick auf die Uhr.

 

Ehepaar vom Wisli half mit

Wir wollen Erika auch gar nicht länger in Beschlag nehmen. Zwei Dinge möchte sie zum Abschluss des Gesprächs jedoch unbedingt noch loswerden. Erstens: «Es ist mir sehr wichtig, bei dieser Gelegenheit dem Ehepaar Fritz und Marianne Heiniger meinen grossen Dank auszusprechen. Auf Fritz und Marianne konnte ich mich immer verlassen – sie haben mir in all den Jahren sehr oft geholfen, auch in schwierigen Situationen», beschreibt Erika die freundschaftliche und wertschätzende Verbindung zu den Nachbarn vom Oberwald, die im Wisli zu Hause sind.

Zweitens ist es der pensionierten Hüttenwartin wichtig zu betonen, dass bei ihr keine Langeweile aufkommen wird – im Gegenteil. Erika hat bereits viele Pläne für die nahe Zukunft geschmiedet, vor allem Reisepläne. Schon Ende Dezember fliegt sie mit Freunden nach Sri Lanka, um die Insel drei Wochen lang zu bereisen. Ausserdem möchte sie bald eine gute Freundin in Valencia besuchen – eine Spanierin, die seit den 80er-Jahren zu ihrem engeren Freundeskreis gehört. «Sie hat damals extra einen Deutschkurs gemacht, und ich habe ein bisschen Spanisch gelernt. Wie soll ich sagen: Wir können uns verständigen», lacht Erika.

Auch Besuche in Österreich stehen auf ihrer Liste: «Ich bin zur Hälfte Österreicherin, meine Mutter stammt aus Kärnten», erzählt sie. «Ich möchte meine Cousinen besuchen, die immer noch dort leben.» Und als weiteres Highlight plant sie mit ihrer «Busenfreundin» Uschi eine Reise ans Nordkap – übernächstes Jahr.

 

Was sie vermissen wird ...

Erika, die unkomplizierte Frohnatur, wird also auch ihren nächsten Lebensabschnitt sehr aktiv und selbstbestimmt gestalten. «Ich verlasse das Ferienheim Oberwald mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Lachend, weil ich jetzt mehr Zeit für mich und meine privaten Pläne haben werde – und weinend, weil ich die lieben Kinder und die wunderschönen Sonnenaufgänge, die ich hier in den Hügeln zwischen Wyssachen und Dürrenroth erleben durfte, unendlich vermissen werde», sagt sie. Vergessen werde sie das Ferienheim auf keinen Fall. «Ich denke, ich werde dem Oberwald auch in Zukunft den einen oder andern Besuch abstatten und meinen Blick über die schöne Natur hier oben schweifen lassen – aber ich werde dann hier sein, wenn sonst niemand da ist.»

 


Ferienheim Oberwald

Ein Haus, das für alle offen steht

Das Ferienheim im Oberwald wurde 1908 für Kinder erbaut, deren Familien sich keinen Urlaub leisten konnten. 1917 erwarb der Ferienversorgungsverein Langenthal das Grundstück samt Liegenschaft für 20'000 Franken. 1931 wurde der erste Erweiterungsbau in Angriff genommen. 1976 wurde die Duschanlage eingebaut. Ende der 1980er-Jahre wurde aus dem Ferienversorgungsverein Langenthal die Stiftung Ferienheim Oberwald, die den Ferienbetrieb bis heute führt. Das Haus steht grundsätzlich allen Personen zur Verfügung – Schulen, Vereinen, Firmen und privaten Gruppen. Die Langenthaler Schulen haben aber jeweils Vorrang. Erika Jenzer sagt, dass an Wochenenden nicht selten auch Hochzeitsessen, Konfirmationen oder Geburtstagsfeiern stattfänden. Das Heim verfügt über eine grosszügige Küche, zwei Aufenthaltsräume, neun Schlafräume mit total 35 Betten sowie Aussenplätze für diverse Aktivitäten.

 

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