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Kunst und Courage im Museum Langenthal

Im ehemaligen Zoll- und Amtshaus an der Bahnhofstrasse wird ab dem 23. August 2024 eine neue Sonderausstellung gezeigt. Im Zentrum dieser Werk- und Historienschau steht der Maler und Widerstandskämpfer Hans Obrecht (1908–1991). Im Nebentext (siehe ganz unten) stelle ich den Künstler aus Wangen an der Aare im Kurzporträt vor. Hier im Interview ordnet Museumsleiterin und Kuratorin Jana Fehrensen die Sonderausstellung hintergründig ein.

 

 

Jana Fehrensen, kurz und knapp: Warum sollte jemand die neue Sonderausstellung unbedingt besuchen?

Wir alle lieben Geschichten von aussergewöhnlichen Menschen, von Helden. Die neue Sonderausstellung präsentiert exakt so eine Geschichte, eine Geschichte aus dem Oberaargau. Die Geschichte von Hans Obrecht.

 

Was wird von der Sonderausstellung wo gezeigt? Was sehen Besucherinnen und Besucher im Erdgeschoss, was in den Obergeschossen des Museums?

Unter dem Titel Kunst und Courage zeigt das Museum Langenthal das Werk und Leben von Hans Obrecht. Er zählt in der Kunst zu den grossen Schweizer Realisten des 20. Jahrhunderts (siehe auch Text unten). Im Obergeschoss werden seine Werke präsentiert. Sein Leben ist aber ebenfalls sehr beachtenswert, eigentlich könnte man sagen: filmreif. Im Erdgeschoss zeigen wir die wenig bekannte Seite des Künstler, nämlich die des Widerstandskämpfers, der sich im von den Nazis besetzten Amsterdam auf vielfältige Weise für Flüchtlinge und besonders jüdische Kinder engagierte. Eins der berührendsten Exponate ist eine kleine Postkarte aus seinem Nachlass. Sie zeigt das Anne-Frank-Haus im Amsterdam. Hans Obrecht muss es besucht haben. Das Haus, in dem sich Anne Frank versteckt hielt, lag nur 13 Minuten entfernt von seinem eigenen.

 

Auf welche Ausstellungsstücke der Sonderausstellung sind Sie persönlich besonders stolz?

Es sind einige aussergewöhnlich Stücke dabei. Gänsehaut bekommt man angesichts der Fülle von Briefen, die alle mit dem Hakenkreuz und dem Stempel «Geöffnet» und «Oberkommando der Wehrmacht» versehen sind. Andere sind erfreulicher. Dazu zählt das Portrait von Arthur Reinmann und seine Olympia-Uniform. Reinmann, der – genau wie Hans Obrecht – in Wangen an der Aare wohnte und wohl deshalb von ihm für die offizielle Festkarten portraitiert wurde. Arthur Reinmann hatte 1924 die Bronzemedaille im Gewichtsheben in Paris gewonnen. Am gleichen Ort also, wo die diesjährigen Olympischen Spiele stattgefunden haben, aber 100 Jahre früher. Es ist ein Privileg, ein solches Stück olympische Geschichte in der Hand zu halten. Berührend ist aber auch die freundschaftliche Korrespondenz mit Gerhard Meier, Martin Ziegelmüller und Bruno Hesse, die sich in den späten Jahren entwickelte.

 

Das Œuvre von Hans Obrecht ist sehr umfangreich – ganz zu schweigen von den zahlreichen Briefen und Dokumenten, die erhalten geblieben sind. Wie sind Sie bei dieser grossen Fülle an Material an die Vorbereitung der Sonderausstellung herangegangen? Was nimmt man in die Ausstellung rein, was lässt man bewusst weg?

Wir beginnen mit einer Ausstellungsvorbereitung etwa ein Jahr vorher. Diesmal waren die Recherchen aber sehr komplex aufgrund des unglaublich reichen Nachlasses, der nur zum Teil geordnet ist, und wegen der zahlreichen neuen Objekte und Belege, die von der Familie des Künstlers beigesteuert wurden. Die Bewertung der Objekte geschah also laufend und manchen neuen Hinweisen konnten wir erst in den letzten Wochen vor der Ausstellung nachgehen. Bei der Gestaltung der Ausstellung behält man immer das Gesamtbild im Auge, ich versuche immer, lieber wenige, dafür aber sehr aussagekräftige Exponate zu wählen.

 

Verrichten Sie diese Arbeiten alle komplett in Eigenregie? Oder wer unterstützt Sie dabei?

Die Recherchen für diese Ausstellung habe ich in Eigenregie durchgeführt. Bei dem Ausstellungsaufbau wurde ich von der Familie Obrecht und unserem Mitarbeiterteam tatkräftig unterstützt. 

 

Hans Obrecht lebte seinerzeit im von den Nazis besetzten Amsterdam. Was lässt sich über diese dunkle Zeit sagen?

Eine Zeit, die sich nie mehr wiederholen darf. Besonders schlimm war der Hungerwinter im Westen der besetzten Niederlande 1944/1945. Es verhungerten etwa 20 000 Menschen. Es braucht Courage, in dieser Lage nicht nur an sich selbst zu denken, sondern auch anderen zu helfen.

 

Um seine Kunstwerke auf einen Hintergrund zu «bannen», bediente sich Hans Obrecht oft eines ganz besonderen Materials. Können Sie das erklären? Was ist daran speziell?

Hans Obrecht bediente sich der Materialien, die er gerade zur Hand hatte. Viele der Werke sind auf Verdunkelungspapier aus der Kriegszeit gemalt worden. Andere auf dem Bucheinpackpapier, das er in seiner Leihbibliothek hatte. In der Ausstellung finden Sie aber auch Buchumschläge, die bemalt sind.

 

Sind Führungen durch die neue Sonderausstellung möglich? Bei wem sollen sich interessierte Gruppen melden?

Wir bieten nebst den öffentlichen Führungen auch jederzeit private Führungen an. Man kann uns via Kontaktformular auf unserer Website www.museumlangenthal.ch kontaktieren.

 

Wie viele Sonderausstellungen werden im Museum Langenthal pro Jahr gezeigt? Welche Ausstellungen laufen sonst noch?

Wir präsentieren neben unserer Dauerausstellung zur Geschichte von Langenthal und des Oberaargaus zwei Sonderausstellung jährlich. Besonders beliebt ist das Format «Regionalfenster», innerhalb dessen sich jeweils eine Oberaargauer Gemeinde präsentieren kann.

 

Ist das Gebäude, in dem das Museum untergebracht ist, aus heutiger Sicht eigentlich noch zweckmässig, um darin Ausstellungen zu veranstalten? Die Räume der historischen Liegenschaft sind ja eher eng und verwinkelt – wir sprechen hier von einem ehemaligen Zoll- und Amtshaus.

Unser Motto lautet: Wir geben der Geschichte ein Zuhause, und das Alte Amtshaus ist wortwörtlich voller Geschichte. Es ist für das Publikum perfekt gelegen und hat selber eine reiche Geschichte. Ob ein geschichtsträchtiges Haus oder ein modernes – Museumsbetrieb ist und bleibt immer eine Herausforderung.

 

Hätte das Museum Langenthal demnächst mal ein «Makeover» nötig? Was wären die dringendsten Renovationsarbeiten?

Die Fassade wurde vor einigen Jahren renoviert und kleinere Unterhaltsarbeiten werden laufend erledigt. Natürlich kann man immer etwas verbessern und modernisieren. Aber hier ist eine sorgfältige Planung angesagt.

 

Was sind in diesem Zusammenhang Ihre Wünsche an die Stadt Langenthal beziehungsweise an die Adresse der Lokalpolitik?

Das ist nicht allein unser Wunsch, sondern das Anliegen von zahlreichen Vereinen und auch Institutionen: Bezahlbare Archiv- und Depoträume in Langenthal.

 

Hans Obrecht – ein Leben für die Freiheit

 

Der Künstler Hans Obrecht (1908–1991) gehört zu den grossen Realisten des 20. Jahrhunderts. Das Museum Langenthal zeigt in dieser Ausstellung bedeutende Werke des Künstlers sowie Dokumente aus seinem Leben im von den Nazis besetzten Amsterdam.

 

Hans Obrecht, der Sohn eines Textilfabrikanten, wurde 1908 in Wangen an der Aare geboren. Nach der Handelsschule in Lausanne wurde er Privatschüler bei Ernst Georg Rüegg in Zürich und setzte seine Ausbildung bei Ernst Würtenberger in Karlsruhe fort. Schliesslich studierte er an der Académie Julian in Paris, wo er Alfred Bernegger kennenlernte, der sein künstlerisches Schaffen nachhaltig beeinflusste.

1934 zog Obrecht nach Amsterdam, wo er sich in die zwanzig Jahre ältere Montessori-Lehrerin und Malerin Miep verliebte. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg eröffneten sie eine Leihbibliothek, die während des Krieges zu einem wichtigen Kontaktpunkt der niederländischen Widerstandsbewegung wurde. Ab den 1950er-Jahren führten er und Miep das kleine Hotel «Amstelrust». Tagsüber war er Bibliothekar und Hotelier, die Nächte gehörten der Kunst.

 

1963: Erste bedeutende Ausstellung

 

Für Obrecht war die künstlerische Freiheit eine grundlegende Voraussetzung. Er lehnte Kompromisse ab, die ihm ermöglicht hätten, am offiziellen Kunstleben teilzunehmen. Willem Sandberg, Direktor des weltberühmten Stedelijk Museums in Amsterdam, erkannte die hohe künstlerische Qualität von Obrechts Werken und ermöglichte ihm 1963 eine erste bedeutende Ausstellung. Es dauerte bis 1980, bis sein Werk auch in der Schweiz zunehmend anerkannt wurde.

Sein Hauptwerk entstand in den 1950er- bis 1970er-Jahren. Er konzentrierte sich auf eine Mischtechnik aus Zeichnung und Gouachemalerei und arbeitete oft auf Verdunkelungspapier aus der Kriegszeit (siehe auch Interview oben). Nach 1978 malte und zeichnete er nur noch gelegentlich.


Gut zu wissen:

Die Sonderausstellung zu Hans Obrecht sowie die Dauerausstellung im Dachgeschoss sind jeweils am Mittwoch und Sonntag von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Am 23. August 2024 findet um 18.30 Uhr die Vernissage zur Sonderausstellung statt, zu der alle interessierten Personen herzlich eingeladen sind. Die neue Ausstellung wird in Zusammenarbeit mit der Hans Obrecht Stiftung realisiert, die sein künstlerisches Erbe verwaltet. Mehr Infos: www.hansobrecht.ch. Anfragen für Führungen werden via E-Mail entgegengenommen: info@museumlangenthal.ch.


Zum heutigen Museumsgebäude:

1748 von der Berner Regierung als Lager-, Waag- und Zollhaus errichtet. Das streng klassizistische Erscheinungsbild ist 1789 und 1844 durch Umbau entstanden. Vielfältige Nutzung als Amtshaus, Kantonalbank, Oberaargauische Volksbibliothek und Heimatstube. Museum Langenthal ab 1981. Historisch bedeutendes Objekt unter kantonalem Schutz.

 

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