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«In Langenthal bewege ich mich in einer anderen Rolle durch die Stadt – hier bin ich geerdeter»

Langenthalerinnen und Langenthaler sowie die ganze Schweizer Poetry-Slam-Szene haben ihn gefühlt schon seit Ewigkeiten auf dem Schirm: Valerio Moser – Wortkünstler, Moderator und Kabarettist. Ein doppelter Titelgewinn diesen Frühsommer (siehe Infoabschnitt ganz unten) verlieh dem 35-Jährigen und seinem Kulturschaffen nun noch einmal einen zünftigen Bekanntheitsschub. Er selbst findet den zusätzlichen Rummel um seine Person eher «gspässig». Valerio mag zwar weit herumkommen und sich auf vielen Bühnen im In- und Ausland zuhause fühlen – seine Langenthaler Wurzeln vergisst er dabei aber trotzdem nicht. Sie dringen tief.

 

Dieses Interview ist am 30. Juli 2024 in der Lokalzeitung Unter-Emmentaler erschienen.

 

Valerio, du hast für dieses Interview den Pausenplatz des Elzmatt-Schulhauses vorgeschlagen, warum?

Ich dachte, es könnte vielleicht ganz reizvoll sein, gemeinsam ein bisschen in Erinnerungen zu schwelgen, schliesslich sind wir beide hier zur Schule gegangen – und dann erst noch fast in derselben Klasse. Ich mit 1988er-Jahrgang jedoch eine unter dir.

 

So ist es, die guten alten Elzmatt-Zeiten! Meine Erinnerungen an damals sind allerdings nicht mehr die frischesten (lacht). Wie sieht es bei dir aus? Hast du die Schulzeit in guter Erinnerung?

Wieder hier zu sein weckt tatsächlich ambivalente Gefühle in mir. Ich weiss noch, dass ich in der 5./6. Klasse einen Deutschlehrer hatte, der mich im Lernen und Ausprobieren sehr stark gefördert hat. Anschliessend gab es jedoch auch Lehrpersonen, die meine Texte und meinen kreativen Output nicht mehr ganz so gut verstanden haben. Begeisterung und Ablehnung – beides habe ich in meiner Schulkarriere immer wieder erlebt. Grundsätzlich habe ich aber schöne Erinnerungen an die Elzmatte. Ich finde, das Kleinräumige eines solchen Quartier-Schulhauses hat eine enorme Kraft und ein grosses Potenzial. Man kennt die Wege, man kennt die Lehrerschaft, man kennt fast alle Schülerinnen und Schüler – es ist die Art von Einbettung, wie sie in Langenthal ziemlich oft erlebt werden kann.

 

Du kommst inzwischen viel herum, hast landauf, landab Auftritte, trittst bisweilen sogar im Ausland auf, lernst viele spannende Persönlichkeiten kennen – und trotzdem zieht es dich immer wieder zurück in den Oberaargau, in deine Heimatstadt. Was hält dich hier?

Sicher das Offensichtliche: Ich fühle mich wohl in meinem familiären und gesellschaftlichen Umfeld und in meiner tollen Innenstadt-Wohnung im Chrämerhuus. Darüber hinaus ist es wohl die Art und Weise, wie ich hier als Person wahrgenommen werde. Auswärts, bei Auftritten im In- und Ausland, werde ich stets und unhinterfragt als Künstler wahrgenommen. Ich selbst ticke dann in meinem Selbstverständnis auch so und bin sofort in meiner künstlerischen Rolle drin. In Langenthal hingegen bewege ich mich gewissermassen in einer anderen Rolle durch die Stadt – hier bin ich geerdeter. Wenn ich an einer Bar sitze und in Gespräche verwickelt werde, interessiert es – überspitzt gesagt – niemanden, dass ich vor nicht einmal 24 Stunden in Hamburg in einem restlos ausverkauften Theater einen Slam-Contest gewonnen habe. Das finde ich irgendwie geil – es holt mich herunter und lässt mich einfach wieder Valerio, ein Langenthaler von vielen, sein.

 

Jetzt bist du aber gar bescheiden – ich behaupte, es interessiert inzwischen sehr wohl recht viele Menschen, was du so machst und auf die Bühne bringst. Ein Ort, wo du und dein Schaffen aber mit Sicherheit wertgeschätzt werden, ist das Chrämi. Was bedeutet dir dieses Haus und wofür steht es?

Das Chrämi war stets das Zentrum meines Kulturschaffens und ist es heute immer noch zu grossen Teilen. Seit ich denken kann, hatte ich Auftritte dort; und seit ich Events organisiere – seit 2008 –, habe ich dort auch veranstaltet. Heute liegt es zeitlich zwar nicht mehr drin, doch ich war über Jahre hinweg in der Programm-Gruppe des Chrämi aktiv. Ich bin wohl nirgends so stark mit Kultur verbandelt wie hier. Für mich ist es definitiv ein sehr guter Ort, auch deshalb, weil ich seit 2014 hier wohne. Als damals die Wohnung unter dem Walmdach des Chrämi frei wurde, wusste ich aufgrund meiner guten Vernetzung sehr schnell davon – und durfte die Wohnung denn auch völlig unkompliziert übernehmen. 

 

Gab es eigentlich einen Initialmoment oder eine initiale Phase für dein künstlerisches Schaffen? Du erwähntest vorhin den Deutschlehrer, der dich in der 5./6. Klasse stark gefördert hat ...

Klar ist: Damals konnte ich mich beim Aufsatzschreiben so richtig austoben. Eine vage Erinnerung ist ausserdem, dass ich der Klasse selbst geschriebene Texte vorlesen durfte. Dies tat ich damals aber ganz bestimmt nicht in dem Selbstverständnis, ein besonders kreativer Kopf zu sein. Hmmm, ein Initialmoment für mein künstlerisches Schaffen (überlegt)? Nein, sowas wie eine Initialzündung oder eine überlegte Vorgehensweise gab es nicht. Überhaupt: Ich habe in meinem Leben noch nie biografische Entscheidungen gefällt. Meine Informatiklehre habe ich beispielsweise einfach deshalb gemacht, weil man im Anschluss an die Sekundarschule eine Lehre machen musste.

 

Man kann also sagen, du seist in dein Kulturschaffen quasi «hineingestolpert».

Ja, vermutlich schon – so, wie ich bereits oft in Sachen hineingestolpert bin (lacht). Während meiner Lehrzeit organisierte eine Kollegin von mir im Improvisorium in Huttwil einen Poetry-Slam. Das war 2007. Sie zwang mich quasi zum Mitmachen, weil sie wusste, dass ich zuvor so «komische» Sachen geschrieben hatte. Also nahm ich relativ spontan an diesem Event teil – und es machte mir richtig viel Spass. Daraus wurde dann immer mehr. Vielleicht kann man dieses Ereignis als eine Art von Initialmoment beschreiben. Und wichtig war für mich sicherlich auch die Zeit davor mit dem Schreibmobil in der Marktgasse – dort durfte ich mich austoben und an Schreibwettbewerben teilnehmen.

 

Wir spulen zügig nach vorne: Alle deine Bestrebungen gipfelten diesen Frühsommer in einem doppelten Titelgewinn – im ausverkauften Casinotheater Winterthur wurdest du sowohl im Team- als auch im Einzelwettbewerb zum Schweizermeister erkoren. Dazu gratuliere ich dir übrigens noch ganz herzlich! Wie gross war der Rummel um deine Person in den letzten Wochen?

Danke dir. Ja, dass eine Person im selben Jahr gleich beide Titel holt, ist noch nicht so oft vorgekommen. Das wurde tatsächlich ziemlich stark wahrgenommen – in der Slam-Szene sowieso. Aber auch ausserhalb hat es doch einige Wellen geworfen. Ich wurde beispielsweise in die Sendung «Gesichter und Geschichten» von SRF eingeladen. Und erst kürzlich ist in der «Schweizer Illustrierten» eine Homestory über mich erschienen. Der doppelte Titelgewinn hat eine Sichtbarkeit ausgelöst, die ich einerseits zwar sehr schön, andererseits aber auch ein bisschen komisch finde – ich bin ja immer noch dieselbe Person wie vorher. Oder anders gesagt: Dank dieser Titel habe ich in meinem Kulturschaffen jetzt nicht plötzlich einen mega «Gump» gemacht.

 

Trotzdem scheinen der Öffentlichkeit solche Titel sehr wichtig zu sein.

Diesen Eindruck habe ich auch. Die Öffentlichkeit hängt an diesen Titeln und braucht sie offenbar, um jemanden überhaupt sehen, ernstnehmen und einordnen zu können. Das finde ich in der Tat ein bisschen «gspässig». Nichtsdestotrotz habe ich mich über den doppelten Titelgewinn natürlich sehr gefreut, weil es innerhalb der Slam-Szene letztlich eine grosse Wertschätzung meiner Arbeit ist.

 

Apropos Arbeit: Man hat das Gefühl, dass du sehr umtriebig und in viele verschiedene Projekte gleichzeitig involviert bist. Täuscht dieser Eindruck?

Nein, gar nicht. Mein Kulturschaffen lebt davon, dass ich sehr viel mache – auch parallel. Pro Woche bin ich nicht selten in vier oder fünf Projekte gleichzeitig involviert. Ich habe nicht einfach das eine grosse Mega-Projekt. Lieber mache ich viele kleinere Sachen – so kommt meine Miete auch irgendwie zusammen (schmunzelt). Ein Projekt führt oft zum nächsten. Und vieles zahlt sich letztlich gar nicht aus – monetär gesprochen. Das macht aber nichts. Bei mir geschieht sehr vieles aus dem Lustprinzip heraus und ich versuche bei meinem Kulturschaffen, dem Geld eine möglichst kleine Rolle beizumessen. Ich habe wenig Lust darauf, Firma spielen zu müssen.

 

Trotzdem ist es heute ja so, dass du von deiner Kunst lebst. Vollkommen ausblenden wirst du das wirtschaftliche Denken also kaum können. Oder hast du etwa alles Administrative und deine Finanzen an einen Mentor oder eine Managerin ausgelagert?

Nein, ich entscheide in allen Bereichen immer noch ganz eigenständig (lapidar).

 

War das etwa eine doofe Frage?

Nein, gar nicht (lacht). Es gibt einzelne Projekte, bei denen ich mit einer Agentur zusammenarbeite. Viele Projekte werden auch in Kooperationen umgesetzt. Ich entwickle Ideen also oft nicht alleine, sondern in Zusammenarbeit mit anderen Kulturschaffenden. Das ist mir extrem wichtig und beflügelt mich in meinem Tun. Am Ende des Tages gibt es aber nicht eine Art von Coachingperson, die hinter mir stehen und mir sagen würde, was ich als nächstes tun soll. Sowas würde vermutlich kaum funktionieren ... nein, es würde sogar überhaupt nicht funktionieren! Ich könnte mich nicht mit der gleichen Begeisterung in die Projekte stürzen.

 

Es gibt also nichts, dass du bei deinem Workload und deiner Umtriebigkeit gerne jemandem abgeben oder an jemanden auslagern würdest?

Wenn jemand für mich die E-Mails beantworten könnte – das wäre in der Tat sehr entlastend (schmunzelt). Davon abgesehen fühlt sich für mich aber kaum etwas wie Arbeit an, weil ich – wie vorhin schon erwähnt – fast ausnahmslos nach dem Lust-und-Laune-Prinzip vorgehe. Ich «arbeite» in diesem Sinn recht viel und auch sehr gern. Bei mir sind die Übergänge fliessend. Eine Trennung zwischen Privatleben und Bühnen- beziehungsweise Berufsalltag kann und will ich nicht machen. Würde ich es tun, könnte das fatal sein, denn als «Privatperson» passieren mir unglaublich viele Dinge, die ich später auf der Bühne künstlerisch «verwerten» kann, und als Bühnenperson will ich authentisch sein Alltägliche Ereignisse sind für mich eine hervorragende Inspirationsquelle.

 

Das tönt einerseits super, andererseits auch recht anstrengend. Gönnt sich Valerio denn gar nie Freizeit? So, wie du unterwegs bist, kann man ja gar nie abschalten!

Es ist für mich nach wie vor ein Lernprozess. Freie Zeiten muss ich mir bewusst herausnehmen. Ferien beispielsweise sind ein schwieriges Thema: Viele meiner Auftrittstermine stehen schon sehr früh fest, entsprechend muss ich meine Ferien sehr weit im Voraus festlegen, damit ich Auftritte um diese herumplanen kann. Meine Freundin Claire ist übrigens diejenige, die mich ab und zu daran erinnert, mal einen Gang herunterzufahren. Es gibt Tage, da arbeite ich über zwölf Stunden. Den ganzen Tag Workshop leiten, eine Sitzung und dann noch auftreten. Mir selbst fällt manchmal gar nicht auf, dass das alles ja arbeiten wäre.

 

Wie geht eigentlich sie mit deinem vollgepackten Terminkalender um?

Ich glaube, sie findet grundsätzlich super, was und wie ich es mache (grinst). Ich achte allerdings darauf, dass ich jeweils am Mittwoch den Tag nicht allzu vollpacke mit Workshops und Terminen. Mittwochs hat Claire jeweils frei, weil sie 80 Prozent arbeitet. So können wir an diesen Tagen gemeinsam etwas unternehmen – mal zusammen etwas kochen oder ins Kino gehen. Eher ruhig angehen lassen wir es auch sonntags – nach meinen Auftritten, die oft auf Freitage und Samstage fallen.

 

Wohnen du und Claire eigentlich zusammen?

Wir haben zusammen eine Wohnung in Zürich. Im Chrämi habe ich eine WG zusammen mit Achim Saufaus, dem stellvertretenden technischen Leiter vom Stadttheater Langenthal.

 

Jetzt haben wir auch schon beinahe Homestory-Niveau erreicht (lacht). Bleiben wir noch rasch bei People- beziehungsweise oberflächlichen Themen: Wie sieht es mit Langenthaler Vereinen aus? Früher warst du ja ein regelrechter Vereinsmeier, wenn man so will.

Damit hast du nicht ganz unrecht. Mit der Stadtmusik haben wir ja sogar eine gemeinsame Vereinsvergangenheit. Lange Zeit war ich auch im Handballverein aktiv. Sehr viel früher war ich sogar noch im Fussballverein dabei und habe später auch mal eine Saison lang Tischtennis ausprobiert. Wie es halt so läuft – über den Schulsport ist man an diversen Orten reingerutscht. Auch in der Jugi war ich mal. Beim Kulturverein Chrämerhuus habe ich diverse Wuhrplatzfeste mitorganisiert. Ich hatte also viele verschiedene Berührungspunkte mit den unterschiedlichsten Menschen aus Langenthal, das hat mir eigentlich recht gut gefallen.

 

Das geht heute alles nicht mehr ...

Nein, leider nicht. Ich kann die Regelmässigkeit, die ein Engagement in einem Verein erfordert, aktuell einfach nicht an den Tag legen. Das fehlt mir schon ein wenig, diese Vereinskultur. Die Vorzüge einer Kleinstadt wie Langenthal schaffen jedoch auch in dieser Hinsicht Abhilfe: Soziale Kontakte sind oftmals nicht sehr weit entfernt und man ist recht flexibel – wir haben im Kollegenkreis beispielsweise eine Chatgruppe für den Vitaparcours oder für spontane Mittagessen. Auf diese Weise kann ich schnell und unkompliziert Leute aus meinem Umfeld treffen, wenn ich zuhause bin. Ich muss mich also nie alleine fühlen (schmunzelt). Übrigens – das bringt mich grad noch auf ein verwandtes Thema – darf ich?

 

Nur zu.

In einem Verein aktiv zu sein hat ja auch recht viel damit zu tun, wie ich auf andere Menschen zugehe und ob ich mich vor anderen Positionen verschliesse oder nicht. In vielen Vereinen sind diverseste Interessen von unterschiedlichsten Menschen vertreten. Wir leben in der Schweiz, mit unserer stark verankerten Vereinskultur – aber auch mit unserer Kneipenvielfalt, um ein weiteres Beispiel zu nennen –, in einer sehr diversen Welt.

 

Worauf möchtest du hinaus? Hört sich fast an wie der Ausschnitt einer 1.-August-Rede.

Gut geraten – sinngemäss ist das der Inhalt meiner Rede, die ich heuer anlässlich der 1.-August-Feier in Herzogenbuchsee halten werde. Die Quintessenz meiner Aussagen wird in etwa sein: Die Menschen hierzulande sollten sich weiterer Diversität nicht verschliessen, sondern im Geiste der bereits bestehenden und gelebten Diversität offen sein und offen werden für anderes und Neues. Langenthal ist ein kleiner Kosmos. Natürlich gibt es hier ein paar Punks, aber die können nicht nur unter sich sein. Dadurch, dass hier alles so nah aufeinander und klein ist, gibt es notgedrungen Durchmischung. Das ist ja eigentlich etwas Grunddemokratisches: Dass sich alle aus ihren unterschiedlichen Positionen heraus einbringen können und daraus etwas Gemeinsames entsteht. Wenn man diesem Gedanken folgt, dann muss man sich natürlich dafür einsetzen, dass sich wirklich alle einbringen können und sich in dieser Diversität wohlfühlen, ohne permanent diskriminiert oder unsichtbar gemacht zu werden.

 

Jetzt kommt der politische Valerio zum Vorschein. Ich habe den Eindruck, du äusserst dich nicht ungern und zuweilen auch recht pointiert zu gewissen politischen Themen. – Im Herbst sind in Langenthal Wahlen. Das wäre doch die Gelegenheit. Kandidierst du?

Ich mache mir tatsächlich sehr gern zu vielen Themen Gedanken und halte mit meiner Meinung nicht unbedingt hinterm Zaun. Im Moment kann ich mir ein politisches Amt aber nicht vorstellen, dafür fehlt mir schlichtweg die Zeit. Oder anders gesagt: Ich habe derzeit einen anderen Fokus.

 

Schade. Mit deinem Kommunikations- und Sprachtalent könntest du in der Lokalpolitik sicherlich gut zwischen den unterschiedlichen Lagern vermitteln.

Wobei ich persönlich finde, dass die politischen Lager in Langenthal nicht besonders festgefahren sind. Man kann hier den Leuten recht schnell und gut auch über politische Grenzen hinweg begegnen. Ich selbst mache jedenfalls die Erfahrung, dass ich in der Stadt oft mit Leuten ins Gespräch komme, die die Welt ein bisschen anders sehen als ich. Solche Begegnungen finde ich immer spannend. In der Kleinräumigkeit von Langenthal steckt das Potenzial, um miteinander zu verhandeln und sich auszutauschen – doch dafür muss eine Kultur des gegenseitigen Respekts vorhanden sein.

 

Gibt es aus politischer Sicht denn gerade etwas, dass dich an Langenthal stört?

Durch meine Kulturbrille stelle ich fest, dass in anderen Schweizer Städten, die eine vergleichbare Grösse wie Langenthal aufweisen, dem Kulturschaffen eine grössere und wichtigere Rolle beigemessen wird. Diese Städte sind stolz auf ihre Kulturschaffenden, unterstützen diese weitreichend und tragen ihren Stolz auch an die Öffentlichkeit. Ich finde, davon könnte sich Langenthal eine Scheibe abschneiden. Unsere Stadt könnte der lokalen Kulturszene noch proaktiver die Hand reichen. Ich will nicht sagen, dass gar nichts passiert. Kulturförderung findet auch in unserer Region statt. Aber: Anderswo hat Kultur einfach einen anderen, grösseren Stellenwert.

 

Zum Schluss noch ein Blick in deine berufliche Zukunft: Hast du ein konkretes Fernziel? Einen Ort oder einen Status, den du als Bühnenfigur Valerio noch erreichen möchtest?

Nein, überhaupt nicht. Ich fände das sogar recht eigenartig, wenn ich heute schon ein Bild von mir als 60-jähriger Kulturschaffender hätte – oder als Nicht-mehr-Kulturschaffender dannzumal. Es sind wohl eher fliessende Ziele, die ich habe: In meinem Schaffen noch besser, präziser, prägnanter werden – sowas vielleicht. Man erlangt mit der Zeit auch neue Tricks. Ich stehe nun seit bald 20 Jahren auf der Bühne – und trotzdem lerne ich beim Schreiben und Auftreten immer wieder Neues dazu. Ich möchte auch unbedingt meine Neugierde behalten. Mein beruflicher Horizont geht nicht viel weiter als zwei, drei Jahre. Bis Ende 2025 bin ich sicher noch mit meinem Soloprogramm, das auf meinem ersten eigenen Buch («Ein Tablett voll glitzernder Snapshots») basiert, unterwegs. Danach muss dann ein neues Solostück her. Langeweile kommt bei mir also ganz bestimmt nicht auf.

 

Valerio Moser: «Ich habe schöne Erinnerungen an die Elzmatte. Ich finde, das Kleinräumige eines solchen Quartier-Schulhauses hat eine enorme Kraft und ein grosses Potenzial.»
Valerio Moser: «Ich habe schöne Erinnerungen an die Elzmatte. Ich finde, das Kleinräumige eines solchen Quartier-Schulhauses hat eine enorme Kraft und ein grosses Potenzial.»

Zur Person – Vom Elzmätteler zum gefeierten Slam-Poetry-Künstler

Valerio Moser (35) wuchs an der Langenthaler Schützenstrasse auf. Quartiergemäss wurde er als Schüler dem Elzmatt-Schulhaus zugeteilt (Ort des Interviews – siehe Haupttext oben). Als er in der 3. Klasse war, zog seine Familie stadtintern an die Farbgasse. Er wechselte dennoch nicht ins Kreuzfeld-Schulhaus, sondern blieb der Elzmatte bis und mit der 9. Klasse treu. Nach der Sekundarschule absolvierte Valerio Moser zunächst eine Lehre als Informatiker. Dafür musste er nach Bern pendeln und verlor dadurch ein wenig den Anschluss an seine angestammte Freundes-Crew, die mehr oder weniger geschlossen ans Langenthaler Gymnasium ging. Via Zivildienst fasste er schliesslich in der Jugendarbeit Fuss; sechs Jahre lang war er bei der Kinder- und Jugendfachstelle ToKJO tätig. Seit seiner frühen Schulzeit verfasste Valerio Moser immer wieder Texte und trug diese vor kleineren und grösseren Menschenansammlungen vor. So auch 2007, als er in Huttwil erstmals in einem Kulturlokal an einer Poetry-Slam-Veranstaltung mitmachte (vergleiche Text oben). Parallel zu seiner beruflichen Tätigkeit entwickelte sich Valerio Moser in seinem künstlerischen Schaffen stets weiter. Er setzte zahlreiche Projekte um und gewann diverse Auszeichnungen, darunter einen Projekt-Kulturpreis der Stadt Langenthal (2011). Seit 2016 lebt er vollumfänglich von seiner Kunst. Seine jüngsten Erfolge sind der Schweizermeister-Titel als Einzelkünstler sowie der Schweizermeister-Titel im Teamwettbewerb (mit InterroBang) an den diesjährigen Poetry-Slam-Meisterschaften in Winterthur. Diesen Juli organisierte Valerio Moser zusammen mit Stefanie Barben, Stefan Schärer und Mario Salas das Sommer-Humorfestival «Schloss mit Lustig» im Innenhof von Schloss Thunstetten. Nach wie vor ist der 35-Jährige mit seinem Solo-Programm unterwegs, das auf seinem 2023 erschienenen Buch «Ein Tablett voll glitzernder Snapshots» basiert. Für dieses Werk hat Valerio Moser ein Jahr lang jeden Tag einen kurzen Text geschrieben. Und zum Schluss noch dies: In New York hat der Spokenword-Poet mit schweizerdeutschen Texten einmal einen Slam-Contest gewonnen – wie das genau ging, weiss Valerio Moser auch heute noch nicht so genau ...


Das Gespräch fand auf dem Schulgelände der Elzmatte statt, wo Valerio und ich einst zeitgleich zur Schule gegangen waren.
Das Gespräch fand auf dem Schulgelände der Elzmatte statt, wo Valerio und ich einst zeitgleich zur Schule gegangen waren.

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