Das China-Restaurant Winn Fat am Wuhrplatz geht per 1. September 2024 in neue Hände über. Es bleibt ein asiatisches Lokal, wird jedoch ab Oktober 2024 unter neuem Namen und mit anderem Konzept weitergeführt (siehe Infoabschnitt unten). Die bisherigen Betreiber, Khon und Nga Tran, haben das Winn Fat 33 Jahre lang geführt. In Langenthal fanden die beiden ab 1991 eine neue Heimat sowie eine solide Existenz. Sie hatten zu diesem Zeitpunkt bereits eine bewegte Vergangenheit als Flüchtlinge hinter sich.
Dieser Artikel ist am 12. Juli in der Lokalzeitung Unter-Emmentaler erschienen.
Es ist eine Geschichte, die erzählt werden muss: Nga wie auch Khon (58- und 63-jährig), beide chinesische Vietnamesen, sind Ende der 1970er-Jahre als sogenannte Boatpeople aus Vietnam geflüchtet (siehe Infoabschnitt ganz zuunterst). Nach dem Sieg des kommunistischen Nordvietnams war die Lage in Saigon unhaltbar geworden, beide hatten eine bewegte Kindheit erlebt.
Khon hat in seinem Leben gerade mal zwei Jahre lang die Schule besucht. Schon als Kind musste er arbeiten. Er verdiente für die Familie einen kleinen Zustupf, indem er am Strassenrand Benzin verkaufte. Auf Umwegen und Aufenthalten in verschiedenen Ländern fanden beide Familien schliesslich den Weg in die Schweiz. Das war 1980. Khons 11-köpfige Familie war während vier Monaten in Selzach (SO) untergebracht, danach kamen die Eltern und Geschwister nach Thun.
Nga und ihre 9-köpfige Familie verschlug es zuerst nach Montreux. Dort lernte die junge Vietnamesin mit Gabel und Messer zu essen und passte sich nach und nach an die Lebensgewohnheiten der Schweizerinnen und Schweizer an. Schliesslich fand die Familie von Nga in Leibstadt (AG) ein neues Zuhause.
Sie wurden «on the job» zu Wirtsleuten
1987 lernten sich die beiden kennen. 1991 kamen sie nach Langenthal, wo sie über Fritz und Annemarie Bürki das Volkshaus mieten und so in dem historischen Gebäude mitten im Ortskern (siehe Infoabschnitt unten) das Restaurant Winn Fat eröffnen konnten. Sie meisterten auch diese Aufgabe «on the job», mit viel Engagement und Sorgfalt zum Detail.
Die lokaltypische Inneneinrichtung des Restaurants mit den asiatischen Holzornamenten sowie weiteren verspielten und exotischen Details errichteten Nga und Khon Tran unter Beizug einiger Geschwister mehr oder weniger in Eigenregie. Das Paar wohnte zunächst in der Wohnung oberhalb des Restaurants, zügelte jedoch später an eine eigene Adresse in Langenthal.
Als langjährige Pächter des Volkshauses erlebten sie noch den Parkplatz am Wuhr und die Neugestaltung des Wuhrplatzes, wo sie seither bei vielen öffentlichen Festlichkeiten auch einen Aussenstand betreiben und so mit der Zeit ein fester Bestandteil der Langenthaler Gastro- und Kulturszene geworden sind.
Ansehnliche Stammkundschaft
In 33 Jahren konnten sie eine ansehnliche Stammkundschaft gewinnen, ein Lohn für mehr als drei Jahrzehnte voller langer und harter Arbeitstage. In der Anfangszeit hatten Nga und Khon jeweils an sechseinhalb Tagen die Woche geöffnet. Später gönnten sie sich doch immerhin einen ganzen Ruhetag und hatten «nur» noch während sechs Tagen die Woche geöffnet.
Sohn Michael war und ist für die Eltern eine grosse Stütze beim Betreiben des Lokals, will und kann das Restaurant jedoch nicht weiterführen. Glücklicherweise konnten Khon und Nga in Absprache mit den Liegenschaftsbesitzern (Fritz und Annemarie Bürki) sowie mit der Verwaltung (Rieder Immobilien) jedoch eine geeignete Nachfolge finden. Per 1. September 2024 übergeben sie das China-Restaurant Winn Fat in neue Hände. Die Nachfolger werden das «neue» Restaurant unter anderem Namen und mit anderem Konzept führen.
Herzliches und sympathisches Lächeln
Viele Stammkundinnen und Stammkunden sowie unregelmässige Gäste haben die Familie Tran über all die Jahre als sehr warmherzige und vertrauensvolle Menschen kennengelernt. Vielen Besucherinnen und Besuchern wird das herzliche und sympathische Lächeln von Nga Tran, die den Restaurantbereich des Winn Fat stets zu einem wohligen und gastlichen Ort verwandelt hat, in bester Erinnerung bleiben. Nga und Khon sind dankbar, dass sie in der Schweiz Fuss fassen durften und sich hier eine solide Existenz aufbauen konnten. «Nun sind wir jedoch – nach all den schönen, aber anstrengenden Jahren – ziemlich erschöpft und möchten gerne etwas kürzertreten. Wir haben viel Herzblut in das Restaurant gesteckt, deshalb sind wir sehr froh, kann das Lokal im Volkshaus in einer ähnlichen Form weitergeführt werden», sagen Nga und Khon zum Schluss ihrer Langenthaler Wirte-Karriere. Sie haben den grössten Teil ihres Lebens im Hauptort des Oberaargaus verbracht. Eine Rückkehr nach Vietnam kommt für sie heute deshalb nicht mehr in Frage. Bescheiden wie er ist, hegt Khon mit Blick auf seinen bevorstehenden, etwas frühzeitigen Ruhestand bloss einen innigen Wunsch: Er möchte jeden Tag einen Spaziergang machen dürfen.
Ein geschichtsträchtiges Langenthaler Gebäude
Erbaut wurde das Volkshaus 1926 von den Grosseltern von Fritz Bürki (Bürki Haustechnik AG) auf dem Grundstück der zuvor abgebrochenen Wirtschaft zum «Wassermann», auch «Bedli» genannt. Das Gebäude ist als erhaltenswert eingestuft und wird von der Denkmalpflege des Kantons Bern als «stämmiger Putzbau unter Mansartwalmdach» beschrieben. Das Restaurant Volkshaus sah im letzten Jahrhundert viele Wirtsleute kommen und gehen. Das Gebäude ging 1946 in den Besitz der Familie Dräyer über. Jahrzehnte später kauften Fritz und Annemarie Bürki das Volkshaus Rosa Dräyer ab, dies aufgrund der familiären Verbundenheit der Familie Bürki mit diesem Gebäude; Pächter war damals Hans Graf. 1991 übernahmen schliesslich Khon und Nga Tran die Pacht, die sich um diese Zeit frisch in Langenthal niedergelassen hatten. 33 Jahre lang führten sie das Volkshaus als China-Restaurant (siehe Haupttext oben). Zum Restaurant im Erdgeschoss gehören heute Büroräumlichkeiten und ein «Sääli» im ersten Obergeschoss. Im zweiten OG befindet sich eine Wohnung, die Khon und Nga Tran in den 1990er-Jahren als erste Langenthaler Wohnadresse gedient hatte. Diese Wohnung haben Fritz und Annemarie Bürki zuletzt umfangreich renoviert, ebenso wie die Restaurant-Küche im EG, die sanitären Anlagen der Wirtschaft sowie die Fassade des Volkshauses, deren Farbe übrigens die Denkmalpflege bestimmt hat. Ganz zuoberst, im Dach, befindet sich überdies ein kleines Studio. Das Volkshaus prägt das Erscheinungsbild des heutigen, «neuen» Wuhrplatzes entscheidend mit und ist ein wichtiger Bestandteil der dortigen Baugruppe.
Restaurant Stääbli – so geht es im Volkshaus ab Herbst 2024 weiter
Um die Nachmieterschaft haben sich Khon und Nga Tran, die Betreiber des China-Restaurants Winn Fat, gleich selbst gekümmert. Auf den 1. September 2024 übernehmen Minh Tue To und Minh Loi To die Geschicke im Volkshaus am Wuhrplatz. Sie starten ihren Restaurantbetrieb voraussichtlich ab Oktober 2024. Die neuen Pächter haben eine sehr ähnliche Vergangenheit wie die Familie Tran (Boatpeople aus Vietnam). Sie möchten das Winn Fat im asiatischen Stil weiterführen. Betrieben werden soll das Restaurant jedoch explizit als vietnamesisch-chinesisches Lokal und unter einem neuen Namen: «Restaurant Stääbli». Laut Betriebskonzept sollen im neuen Restaurant authentische Aromen und Zutaten aus beiden Landesküchen (China und Vietnam) in einer modernen und kreativen Speisekarte vereint werden. «Das Restaurant bietet eine vielfältige Auswahl an Gerichten, die von traditionellen Klassikern bis hin zu innovativen Fusion-Gerichten reicht», heisst es. «Vietnamesische Laternen, chinesische Kunstwerke und asiatische Dekorationen schaffen eine einladende und exotische Atmosphäre, die die Gäste auf eine kulinarische Reise entführt.» Wie den Ausführungen entnommen werden kann, bleibt im Restaurant in Sachen Inneneinrichtung also grundsätzlich alles im asiatischen Look bestehen. «Wir werden die typische Decke belassen, möchten aber die dunkelrote Farbe der Wände erneuern und etwas heller streichen sowie die Verkleidung der Theke entfernen – dies soll dem Lokal einen etwas leichteren Look verleihen», schreibt Minh Tue To auf Anfrage. Sie wird das Restaurant ab Oktober als Familienbetrieb führen. Die Liegenschaftsbesitzer, Fritz und Annemarie Bürki, zeigen sich über den quasi nahtlosen Übergang im Volkshaus erfreut und begrüssen es sehr, dass es im Traditionslokal am Wuhrplatz im asiatischen Stil weitergehen kann. Geplant ist im neuen Restaurant im Übrigen auch ein separater Bereich für Karaoke-Events und Essen mit Karaoke. Karaoke-Abende sollen am Freitag, Samstag und Sonntag stattfinden. «Die Gäste können ihre Lieblingslieder singen und sich auf der Bühne präsentieren, während sie köstliche Speisen und Getränke geniessen», führen die neuen Betreiber in den Unterlagen aus. Laut Konzept hat das Restaurant Stääbli an sechs Tagen die Woche offen (Montag: Ruhetag).
Was versteht man unter Boatpeople?
Unter dem Begriff Boatpeople (zu Deutsch Bootsflüchtlinge) versteht man ursprünglich die in der Folge des Vietnamkriegs in Südostasien geflohenen Menschen meist vietnamesischer Herkunft. Heute wird der Begriff auch für Personen in anderen Weltregionen verwendet, die in Booten fliehen. Solche Fluchten werden meist mit ungeeigneten und überladenen Booten unternommen. Die Ursachen von Bootsflucht reichen heute, wie bei jeder Flucht, von individueller Verfolgung – die eine Person im rechtlichen Sinne als Flüchtling qualifiziert – über allgemeine Unsicherheit und bewaffnete Konflikte bis hin zur Suche nach besseren Lebensbedingungen.
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