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«Ich will es auf meine ganz eigene Art probieren»

Lia Zgraggen steht mit ihrem Trompetenspiel an der Schwelle zur Profimusik. Vor kurzem hat sie die Aufnahmeprüfung für das Studium an der Hochschule der Künste in Bern bestanden. Wer allerdings denkt, die 19-Jährige ordne der Musik einfach alles unter, irrt. Trotz offenkundigem Talent und ihrer wirklich grossen Liebe zur Trompete beschreitet die bescheidene Langenthalerin ihren ganz eigenen, bodenständigen Weg.

 

Lia Zgraggen mit ihrer Band Chrüz u Quer im OldCapitol. – Bild: David Anderegg.
Lia Zgraggen mit ihrer Band Chrüz u Quer im OldCapitol. – Bild: David Anderegg.

 

Eine Kurzform dieses Porträts ist am 14. Juni 2024 in der Lokalzeitung Unter-Emmentaler erschienen. Hier liest du die lange, vollständige Textversion.

 

Es läuft gerade sehr gut für Lia Zgraggen: Nach anstrengenden, aber erfolgreichen Monaten am vorbereitenden PreCollege in Bern hat die 19-Jährige diesen Frühling die Aufnahmeprüfung fürs Bachelorstudium geschafft: Ab September studiert die Langenthalerin an der Berner Hochschule der Künste klassische Musik. Begleiten wird sie dabei ihre Trompete, ein Instrument, das Lia Zgraggen seit ihrem siebten Lebensjahr spielt.

Als Trompeterin konnte sie in der Vergangenheit auch schon Preise an Musikwettbewerben einheimsen; oder als gefragte Musikantin in renommierten Bands und Orchestern aushelfen. Mit ihrer eigenen Combo, der Band «Chrüz u Quer», gewann sie letztes Jahr den Talentwettbewerb «BurgerBühni» im OldCapitol in Langenthal. Vielversprechende Umstände also, die in ihrer Summe die Vermutung zulassen, dass Lia Zgraggen über kurz oder lang in der Welt der Profimusik Fuss fassen wird.

 

Leidenschaft wichtiger als Karriere

Darauf angesprochen, hält sie den Ball flach. Ein musikalisches Wunderkind, dem die Karriere als Profimusikerin quasi in die Wiege gelegt wurde? Nein, als sowas sieht sich Lia Zgraggen beileibe nicht. Auch deshalb nicht, weil ihre Familie keine besondere Musikervergangenheit aufweist. «Sollte irgendwann der Moment kommen, um nach den Sternen zu greifen – warum nicht? Im Augenblick bin ich jedoch einfach glücklich, meiner Leidenschaft nachgehen und Musik studieren zu dürfen», entgegnet die Langenthalerin mit einer gehörigen Portion Realismus und Bodenständigkeit.

Sie weiss: Wer Profimusikerin werden will, muss viel – also wirklich sehr, sehr viel – investieren. Nur die Besten der Besten finden schlussendlich – unter günstigen Umständen – eine Stelle in einem Profiorchester, von denen es in der Schweiz etwa zehn bis fünfzehn Stück gibt. Und pro Orchester werden vielleicht zwei bis drei Profitrompeter gesucht, höchstens. «Das Stellenangebot hierzulande ist wirklich verschwindend klein, und selbst im Ausland sieht es nicht besser aus, denn die Konkurrenz auf internationalem Parkett ist ebenso gross, wenn nicht sogar noch grösser», gibt Lia Zgraggen zu verstehen.

Trotzdem wolle sie den Weg des Musikstudiums unbedingt beschreiten. Es sei für sie eine einmalige Gelegenheit. Sie könne dabei bestimmt sehr viel fürs spätere Leben lernen. Und auch in beruflicher Hinsicht gebe es durchaus Optionen: «Ich kann mir gut vorstellen, in Zukunft einmal selbst zu unterrichten, etwa am Gymnasium oder an einer Musikschule.»

 

Zeit für Sport und Freunde

Schon heute arbeitet sie mit jungen Menschen zusammen. Lia Zgraggen dirigiert die Jugendmusik Bleienbach. Ausserdem ist sie Co-Bandleaderin von «Chrüz u Quer» sowie Vize-Tambourmajorin – also stellvertretende Dirigentin – der Guggenmusik Megadüdler.

Ein kleine Auswahl von Engagements, die ihr Freude bereiten und ihr wichtig sind. Ihre Freizeit investiert sie unter anderem auch in Sport und Beziehungen. «Ich trainiere, wenn es die Zeit zulässt, zweimal pro Woche Leichtathletik, treffe Kolleginnen und Kollegen und bin gerne mit meinem Freund zusammen», berichtet die vielseitig Interessierte.

Auch wenn es gegen aussen vielleicht den Anschein mache – in Tat und Wahrheit sei sie nicht bereit, in ihrem Leben alles der Musik unterzuordnen. «Ich will nebenher noch meine eigenen Projekte haben und es auf meine ganz eigene Art probieren», so die 19-Jährige, die auch in Sachen Übungsfleiss eine eigene Philosophie hat. «Tägliches Trompetenspiel steht freilich auf dem Programm und Übung ist bestimmt das A und O, doch auch hier finde ich: Die Freude an der Musik muss letztlich im Zentrum stehen. Das ist mir das Allerwichtigste.»

 

Zusammen singen mit Grosi

Freude an der Musik hatte Lia Zgraggen schon sehr früh in ihrem Leben. In der Kindheit wurde in ihrer Familie viel gesungen. Das Liedgut ihres Grosis habe sie dabei besonders beeindruckt. Später, am Tag der offenen Tür der Musikschule, habe sie jeweils alle verfügbaren Instrumente durchprobiert. «Ich konnte mich einfach nicht entscheiden», erinnert sie sich. Letztlich sei ihre Wahl dann aber doch auf die Trompete gefallen. «Vermutlich, weil es so ein Powerinstrument ist.»

Vom Powerinstrument Trompete – laute und mitunter sehr hohe Töne lassen grüssen – waren Lias Eltern im ersten Moment nicht besonders angetan. Sie wollten der Begeisterung ihrer Tochter aber nicht im Weg stehen und lenkten schliesslich ein. Die damals siebenjährige Erstklässlerin durfte Trompetenunterricht nehmen. Ein richtungsweisender Meilenstein, wie sich heute zeigt.

 

Auf Instrumentensuche in der Brocki

Lia Zgraggen spielte während ihrer Schulzeit aber auch noch ein Jahr Klarinette in der Bläserklasse und fand mit den Jahren Interesse an ganz unterschiedlichen Instrumenten. Mehr als nur einmal suchte sie Brockenhäuser auf, um dort nach neuen Entdeckungen Ausschau zu halten. Auf dem Second-Hand-Weg gelangten so ein Es-Horn, ein Flügelhorn sowie kürzlich auch eine E-Gitarre in ihren persönlichen Instrumentenfundus.

Ab und zu spielt die probierfreudige Langenthalerin auch auf einem geliehenen Alphorn oder auf dem Klavier. «Mit YouTube-Tutorials habe ich simple Klavierstücke gelernt und mit einer App Klavierakkorde, um mich selbst beim Singen begleiten zu können», berichtet Lia Zgraggen, für die das Singen nebst dem Trompetenspiel nach wie vor eine grosse Bedeutung hat – in der Band «Chrüz u Quer» singt sie beispielsweise Seite an Seite mit ihrem Freund.

 

Erste Kontakte mit Profimusikanten

Wichtig für ihre musikalische Entwicklung war zweifellos auch die Zeit am Gymnasium in Langenthal. Musik war hier ihr Schwerpunktfach. Ihre Trompete durfte während dieser Zeit natürlich auch nicht fehlen. Es war eine Zeit des Ausprobierens und Heranwachsens. Studienreisen in grössere Schweizer Städte, wo Lia Zgraggen zusammen mit ihrer Klasse während Orchesterkonzerten mit Profimusikantinnen und -musikanten auf Tuchfühlung gehen konnte, trugen das ihrige zum Reifeprozess bei. «Wie gesagt: Ich hatte als Kind und auch als junge Erwachsene niemals die konkrete Absicht, Profimusikerin zu werden. Andere werden schon von Kindsbeinen an auf eine solche Karriere getrimmt. Das war bei mir überhaupt nicht der Fall, im Gegenteil. Die Möglichkeit des Musikstudiums eröffnete sich mir erst während des Gymers allmählich», erzählt Lia Zgraggen.

Dass sie Musik nicht nur selbst produzieren, sondern auch für andere arrangieren kann, bewies die 19-Jährige schon verschiedentlich. Ihren wohl grössten Wurf diesbezüglich landete sie jedoch am Gymnasium, wo sie im Rahmen ihrer Maturarbeit ein Musikstück, das ursprünglich für ein klassisches Symphonieorchester komponiert worden war, für eine klassische Big-Band-Besetzung umschrieb und unter anderem mit vielen Mitgliedern der mittlerweile überregional bekannten Blue Ties Big Band einstudierte und aufnahm.

Die Geschichte dahinter ist lustig und herzerwärmend: Ein Video zeigt Lia Zgraggen als Kind im Pyjama und mit Wollmütze – in dieser Aufmachung spielt sie mit ihrer Mutter Ping-Pong; dazu läuft das klassische, epochale Symphoniestück, das Lia später als Gymnasiastin umarrangieren wird. Angesteckt von der besonderen Energie des Musikstücks fuchtelt die Kleine mit dem Tischtennisschläger wie eine Dirigentin in der Luft umher, während sie das Ping-Pong-Spiel mit ihrer Mutter fortsetzt.

 

Lektionen fürs Leben

Musikalisch angehauchte Geschichten aus der Kindheit, an die sie jetzt, da sie an einer Weggabelung ihres noch sehr jungen Lebens steht, gerne zurückdenkt. Positiv sind ihre Erinnerungen auch an das vergangene Jahr im PreCollege in Bern – Phasen des Musizierens und Lernens, die auf das Studium vorbereiten sollen. Lia Zgraggen musste während dieser Zeit nicht nur intensiv Trompete üben und den Unterricht beim Dozenten besuchen. Auch Klavierstunden, Vorspiele und diverse Kurse standen am PreCollege auf dem Programm, darunter Bühnenpräsenz, mentales Training, Körperbewusstsein oder die Kunst des Übens.

«Beim mentalen Training macht man so Sachen wie etwa den Zeigefinger zwischen die Zähne stecken und mindestens eine Minute lang draufbeissen. Währenddessen meint der Körper, man sei am Lachen – eine Täuschung, wodurch aber Glückshormone ausgeschüttet werden. Zu Beginn denkst du: Das ist doch alles nur Hokuspokus – wofür soll das denn bitte gut sein? Doch später stellen sich solche vermeintlichen Kapriolen als Lektionen heraus, die dir später, beispielsweise in Auftrittssituationen mit sehr grossem Lampenfieber, quasi das Leben retten können.»

 

Miteinander statt gegeneinander

Nach ihren aktuellen und vergangenen musikalischen Engagements gefragt, muss Lia Zgraggen – bevor sie antworten kann – erst einmal eine Liste hervorkramen. «Ohne Auflistung geht es nicht, ich vergesse immer die Hälfte zu erwähnen», schmunzelt sie. Ihre Aufzählung ist tatsächlich lang. Zu lang, um sie hier eins zu eins wiederzugeben.

Was die Liste jedoch aufzeigt, ist, dass die Trompeterin aus Langenthal zwar auch gerne solo auftritt, grundsätzlich aber lieber zu zweit oder vorzugsweise sogar in grösseren Ensembles, Bands und Orchestern musiziert. Im Rahmen eines Musikwettbewerbs zu spielen, sagt ihr hingegen weniger zu. «Ich empfinde das Musikmachen als Miteinander, und nicht als Gegeneinander», findet Lia Zgraggen. Eine Philosophie, der sie auch in Zukunft gerne treu bleiben möchte.

 

Lia Zgraggen bei einem Auftritt im Spanier in Langenthal im Mai 2024. – Bild: Urs Nyffenegger
Lia Zgraggen bei einem Auftritt im Spanier in Langenthal im Mai 2024. – Bild: Urs Nyffenegger

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