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«Nur Firmen, die wirtschaftlich erfolgreich sind, bieten attraktive Lehrstellen an»

 

Wie steht es um die Berufsbildung in der Region? Welche Berufe haben es zurzeit besonders schwer? Wie viel Geld wird in die Erweiterung der Berufsfachschule investiert? Das heutige Fachgespräch der FDP.Die Liberalen Langenthal dreht sich schwergewichtig um Bildungsfragen – aber nicht nur. Spannende Antworten liefert Berufsfachschul-Rektor Marcel Joss, der FDP-Stadträtin Deborah Nyffenegger und Journalist Patrick Jordi zum Interview empfangen hat.

 

Dieser Beitrag entstand im Rahmen von «Rendez-vous mit …», eine Serie der FDP.Die Liberalen Langenthal. Für mehr Austausch und Debatte im Wahljahr 2024 – und darüber hinaus.

 

 

Patrick Jordi: Marcel Joss, das Erweiterungsprojekt der Berufsfachschule soll eigentlich gar nicht zentrales Thema dieses Gesprächs sein. Trotzdem interessieren der Neubau, die Gesamtsanierung der bfsl sowie die Aufstockung des Hauptgebäudes natürlich besonders. Wie sieht der Zeitplan aus?

 

Marcel Joss: Ich verstehe gut, dass sich die Bevölkerung dafür interessiert. Gemäss aktuellem Timing soll der Baustart 2027 erfolgen. Abgeschlossen wird das Gesamtprojekt voraussichtlich 2030.

 

Deborah Nyffenegger: Wow, das ist ein sportlicher Zeitplan! Was geschieht während dieser Zeit mit den Lehrpersonen und den Lernenden?

 

Marcel Joss: Ja, es ist ein ambitioniertes Timing. Wir haben verschiedene Varianten geprüft und mussten einiges im Ablauf optimieren, um die Bauzeit so kurz wie möglich halten zu können. Bei laufendem Schulbetrieb zu bauen, wird dennoch Herausforderungen und Einschränkungen mit sich bringen.

 

Deborah Nyffenegger: Und welche Lösung kommt nun zum Zug?

 

Marcel Joss: Auf einer freien Rasenfläche auf dem Areal des benachbarten Gymnasiums werden Provisorien erstellt, dort wird der Schulbetrieb während der etappierten Bauzeit aufrechterhalten. Diese Provisorien waren zwar auch bei der ursprünglichen Bauplanung vorgesehen. Jetzt aber gibt es – einfach ausgedrückt – einfach ein bisschen mehr Provisorien, dafür dauert die Bauzeit voraussichtlich «nur» etwa vier Jahre. Damit können wir das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis erreichen.

 

Patrick Jordi: Und inwiefern ist das Gymnasium in diesen Prozess involviert?

 

Marcel Joss: Das Gymnasium Oberaargau (gymo) und die Berufsfachschule (bfsl) bilden zusammen das Bildungszentrum Langenthal (bzl). Daher werden das Bauprojekt der bfsl und das Projekt des gymo kantonal zu einem Gesamtprojekt zusammengefasst. Zur Erinnerung: Am Gymnasium steht eine komplette Innensanierung an.

 

Deborah Nyffenegger: Das tönt nach einer ziemlich komplexen Geschichte.

 

Marcel Joss: Ja, die Arbeiten werden in Etappen vollzogen. Die Sanierung des Gymnasiums wird in einer ersten Phase realisiert; das gymo nutzt die Provisorien also zuerst. Sobald die Innensanierung des gymo abgeschlossen ist, nutzt die Berufsfachschule die Provisorien. Berufsschulseitig ist für dieses Projekt insgesamt ein hoher zweistelliger Millionen-Betrag budgetiert worden.

 

Patrick Jordi: Eine immense Summe. Wie werten Sie diese Investition als bfsl-Rektor?

 

Marcel Joss: Für die Berufsbildung im Oberaargau ist es ein klares Bekenntnis zum hiesigen Bildungsstandort und eine Stärkung unserer Region.

 

Deborah Nyffenegger: So sehe ich das auch. Ein klares Bekenntnis, das vom Kanton Bern kommt – schliesslich befinden sich die Liegenschaften der Berufsfachschule sowie auch diejenigen des Gymnasiums heute in kantonalem Besitz. Mit Ausnahme der Dreifachturnhalle Hard, die nach wie vor städtisch ist.

 

Patrick Jordi: Sie betonen das so explizit, warum?

 

Deborah Nyffenegger: Ich finde, man darf ruhig in den Fokus rücken, dass der Kanton Bern hier etwas sehr Grosses für die Region Langenthal und Umgebung ermöglicht. Die Stadt Langenthal muss sich an den Projektkosten nicht beteiligen, kann aber letztlich stark vom Endresultat profitieren. Im Bildungsbereich können wir auf städtischer Ebene unseren Fokus und unsere Ressourcen also schwergewichtig auf die Volksschulen und die Kindergärten richten.

 

Patrick Jordi: Verspüre ich hier ein bisschen Ungeduld, vielleicht sogar Unmut?

 

Deborah Nyffenegger: Wie soll ich sagen – durch meinen beruflichen Hintergrund und als Mutter zweier schulpflichtiger Teenager liegen mir Bildungsthemen natürlich besonders am Herzen. Darüber hinaus kriege ich die Entwicklungen in diesem Bereich als Politik-Novizin, die anfangs 2024 für die FDP im Stadtrat nachgerutscht ist, jetzt hautnah mit. Ich bin froh, macht die Stadt nach der Abstimmungsschlappe bei den Kindergärten nun nicht einfach die Faust im Sack. Es heisst, die Schulraumstrategie werde zeitnah überarbeitet; auch die sanierungsbedürftigen Kindergärten dürften in absehbarer Zeit angepackt werden. Sollte ich im Herbst wiedergewählt werden, will ich mich als Stadträtin dafür einsetzen, dass in diesem Bereich überzeugende Entscheidungen getroffen werden. Zum Wohle unserer Kinder, und gleichzeitig mit kritischem Blick auf die städtischen Finanzen.

 

Patrick Jordi: Frage an Sie, Marcel Joss: Wie steht es um die Berufsbildung in der Region Langenthal und Umgebung?

 

Marcel Joss: Dank unseren vielen engagierten Ausbildungsbetrieben sind wir grundsätzlich sehr gut unterwegs. Wir haben recht stabile Zahlen, was die Lehrverhältnisse angeht. Bei einzelnen Berufen sind sie zwar eher rückläufig, bei anderen nehmen sie dafür tendenziell eher zu.

 

Patrick Jordi: Welche Branche hat aktuell am meisten zu kämpfen?

 

Marcel Joss: Mit Veränderungen und Herausforderungen sehen sich sämtliche Branchen konfrontiert. Es wird deutlich schwieriger, Lernende zu finden, die dem gesuchten Profil entsprechen. Besonders schwer haben es zurzeit aber die eher kleinen Betriebe wie beispielsweise Bäckereien. Viele von ihnen finden keine Nachfolgelösung, was letztlich bedeutet, dass die Betriebe schliessen müssen. Solche Entwicklungen geben zu denken.

 

Patrick Jordi: Gibt es auch gegenteilige Entwicklungen?

 

Marcel Joss: Berufe aus dem Bereich Landtechnik sind interessanterweise sehr stark unterwegs, hier nehmen die Lehrverhältnisse eher leicht zu – was spannend ist, weil es auch kleinere Betriebe sind, die Lehrstellen anbieten. Stabil unterwegs sind aber auch die Schreiner, der Maschinenbau, das KV oder die Gesundheitsberufe – um einige Beispiele zu nennen. Zusätzlich entstehen laufend neue Berufe.

 

Deborah Nyffenegger: Was die Gesundheitsberufe angeht, kann ich die Entwicklung bestätigen. Die Ausbildungszahlen sind stabil. Man darf sich vom Bild aber nicht täuschen lassen: Die Gesundheitsberufe sind allgemein ziemlich unter Druck. Wir müssen in meiner Branche darauf achten, dass unsere Ausbildungsberufe attraktiv bleiben, laut Berechnungen benötigen wir in Zukunft mehr Fachpersonen in diesem Bereich.

 

Patrick Jordi: Wie meinen Sie das? Spielen Sie auf die Nachwirkungen nach Corona an?

 

Deborah Nyffenegger: Nicht nur auf das. Die Corona-Phase hatte zwar einen negativen Einfluss auf die Branche, weil der Druck auf das Gesundheitspersonal in dieser Zeit enorm war und viele sich als Folge beruflich umorientierten. Worauf ich vor allem anspiele, ist die Umsetzung der Pflegeinitiative. Davon erhoffen wir Direktbetroffenen uns einiges. Kürzlich wurde die sogenannte Ausbildungsoffensive gestartet. Das ist zwar schön und gut. Ich bin mir aber nicht sicher, ob jetzt der richtige Moment dafür ist. Besser wäre es aus meiner Sicht gewesen, man hätte zuerst die Rahmenbedingungen der Pflege- und Gesundheitsberufe verbessert.

 

Marcel Joss: (überlegt) Für mich ist das eher schwierig zu beurteilen, sicher hatte Corona gerade in den Gesundheitsberufen einen Einfluss auf die Attraktivität. Ich kann in diesem Zusammenhang jedoch Zahlenmaterial beisteuern: Stand heute ist es so, dass an der bfsl im Bereich FaGe (Fachmann/-frau Gesundheit) bereits wieder über 100 Lehrverträge abgeschlossen werden konnten. Für das kommende Schuljahr werden damit erneut fünf Parallelklassen mit FaGes geplant. Zum Vergleich: Vor 15 Jahren hatten wir erst zwei Parallelklassen. Man kann also sagen, dass dieser Gesundheitsberuf, der als Sprungbrett für die Diplompflege gilt, in den letzten zehn Jahren ziemlich Aufwind erhalten hat.

 

Patrick Jordi: Ein bisschen salopp gefragt: Wie sexy ist die klassische Ausbildung mit Berufslehre überhaupt noch? Man hört ja, dass immer mehr Jugendliche eine rein akademische Laufbahn einschlagen wollen. Eine Gymer-Ausbildung mit späterem Uni-Studium scheint für viele Schülerinnen und Schüler – oder vor allem für deren Eltern? – heute das Nonplusultra zu sein.

 

Marcel Joss: Die duale Berufsbildung mit den drei Lernorten (Ausbildungsbetrieb, Berufsschule und ÜK-Zentrum) ist und bleibt sehr attraktiv und bietet nach dem Berufsabschluss alle erdenklichen Entwicklungsperspektiven. Ich denke dennoch, langfristig wird in dieser Hinsicht sicherlich noch etwas mehr Druck entstehen. Die Gymnasialquote könnte in unserer Region tendenziell noch leicht steigen.

 

Deborah Nyffenegger: Was heisst das konkret?

 

Marcel Joss: In städtischen Gebieten wie Bern oder Zürich geht inzwischen fast ein Viertel der Jugendlichen ans Gymnasium. In unserer Region liegt die Quote hingegen bei etwa 18 bis 19 Prozent. Ein Grossteil der Jugendlichen aus dem Oberaargau schlägt also nach wie vor eine Laufbahn ein, die mit einer Berufsausbildung beginnt.

 

Patrick Jordi: Eine Tatsache, die sich in Ihrem Angebot widerspiegelt.

 

Marcel Joss: Ja, das Angebot der bfsl umfasst Grundbildungsangebote in 18 Berufen, die Berufsmaturität, Brückenangebote sowie die höhere Berufsbildung und Weiterbildungskurse.

 

Deborah Nyffenegger: Es ist schön zu sehen, wie breitgefächert das Angebot in unserer Region ist. Und das bei derzeit rund 2500 Lernenden. Dazu müssen wir unbedingt Sorge tragen.

 

Patrick Jordi: Gesagt, getan: Sie selbst engagieren sich diesbezüglich unter anderem im Verein Berufsbildung Oberaargau (VBO), wo Sie im Vorstand aktiv sind.

 

Deborah Nyffenegger: Der VBO organisiert verschiedene Anlässe, um Schülerinnen und Schüler bei der Berufswahl zu unterstützen. Dazu gehören Berufsinformationsveranstaltungen, Ausbildungsmessen und Bewerbungsevents, bei denen die Jugendlichen die Möglichkeit haben, verschiedene Berufe kennenzulernen, erste praktische Erfahrungen zu sammeln und sich zu bewerben.

 

Patrick Jordi: Welchen Stellenwert räumen Sie dem VBO ein, Marcel Joss?

 

Marcel Joss: Der Verein Berufsbildung Oberaargau ist ein wichtiger Partner für Ausbildungsbetriebe, die Interessierten sowie für die Region Oberaargau insgesamt. Durch seine vielfältigen Aktivitäten trägt er dazu bei, dass junge Menschen eine fundierte Berufswahl treffen können und die regionale Wirtschaft qualifizierte Fachkräften aus der Region findet.

 

Deborah Nyffenegger: Per Ende 2023 zählte der VBO bereits 167 Mitglieder, Tendenz steigend.

 

Patrick Jordi: Verstehe ich das richtig: Vereine wie der VBO sind für die Berufsfachschule inzwischen zur Anlaufstelle Nummer eins geworden, wenn es um Nachwuchs- und Rekrutierungs- sowie um inhaltliche Fragen geht?

 

Marcel Joss: Das würde ich so nicht sagen. Vereine wie der VBO sind ein zentrales Puzzlestück eines grösseren Zusammenspiels von wichtigen Playern. Unabdingbar für eine gut funktionierende Berufsausbildung sind die einzelnen Betriebe sowie deren Ausbildungsverantwortliche, die Lehrstellen zu besetzen haben. Und damit Betriebe überhaupt Lehrstellen anbieten können und wollen, braucht es die Politik. Sie ist dafür verantwortlich, dass ein Umfeld geschaffen wird, in welchem Unternehmen gut gedeihen können. Nur Firmen, die wirtschaftlich erfolgreich sind, bieten letztlich auch attraktive Lehrstellen an.

 

Deborah Nyffenegger: Die Vernetzung und die lernortübergreifende Zusammenarbeit klappt in unserer Region schon sehr gut, wie ich finde. Ich kann aus eigener Erfahrung berichten: Als Fachbereichsleiterin pflege ich direkte Kontakte zu den Lehrpersonen der Gesundheitsberufe. So geht es vielen Berufsleuten, die mit der Ausbildung zu tun haben. Es kommt auch vor, dass Leute aus der Praxis direkt in die Klassen der Volksschule gehen und etwas aus ihrem Berufsalltag erzählen. Das ist für die Schülerinnen und Schüler immer besonders interessant, ein Berufsbild wird für sie dadurch noch greifbarer.

 

Marcel Joss: Miteinander in Kontakt bleiben und sich austauschen, voneinander lernen – das ist das A und O.

 

Deborah Nyffenegger: Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels wird der gegenseitige Austausch – auch unter den Betrieben – umso wichtiger. Der Fachkräftemangel ist teilweise so akut, dass sich gewisse Betriebe heute quasi an jeden Strohhalm klammern und auf x-verschiedene Arten versuchen, an Fachkräfte und an Berufsnachwuchs zu kommen. Unzählige Anlässe und Berufsinfoveranstaltungen werden so aus der Taufe gehoben; man hat teilweise das Gefühl, es sei ein Jekami. Für die lehrstellensuchenden Jugendlichen wird es so zunehmend schwierig, den Überblick zu behalten und sich umfassend zu informieren.

 

Patrick Jordi: Wofür plädieren Sie also?

 

Deborah Nyffenegger: Für mehr Fairplay unter den Ausbildungsbetrieben und für eine noch bessere Zusammenarbeit. Kleinere und grössere KMUs sollten ihre Kräfte in übergeordneten Anlässen und Infoveranstaltungen bündeln. Das Motto sollte lauten: Gemeinsam auftreten oder gar ausbilden, um die ganze Vielfalt der Berufe zeigen zu können. Plakativ ausgedrückt: Hauptsache, wir können 20 anstatt nur 10 Jugendliche für den Beruf des Polymechanikers begeistern – um nur ein Beispiel zu nennen. Bei welchen regionalen Betrieben diese Jugendlichen letztlich ihre Lehre absolvieren, ist nicht alles entscheidend. Wichtig ist aber, DASS sie den Beruf erlernen und DASS sie der Branche erhalten bleiben. Früher oder später können davon alle Betriebe profitieren.

 

Patrick Jordi: Apropos Fachkräftemangel, wie geht die bfsl damit um? Haben auch Sie Schwierigkeiten, offene Stellen von Lehrpersonen zu besetzen?

 

Marcel Joss: Ja, auch wir sind mit dem Fachkräftemangel konfrontiert. Was bei uns erschwerend hinzu kommt, ist die Tatsache, dass heute je länger, desto mehr von den Lehrpersonen verlangt wird, dass sie gebiets- und kompetenzübergreifend unterrichten können. Klassischer Unterricht in Monofächern gibt es zunehmend weniger. In der Berufsfachschule widerspiegelt sich heute die Realität des Berufsalltags: Bei der Erledigung einer Aufgabe müssen Lernende vernetzt denken und unterschiedliche Kompetenzen anwenden können. Entsprechend muss eine Lehrperson heutzutage auch unterschiedliche, fächerübergreifende Lerninhalte vermitteln können.

 

Patrick Jordi: Themenwechsel: Sie sind nicht nur beide in der Bildung aktiv, Sie engagieren sich auch beide politisch. Deborah Nyffenegger, Sie sind bereits FDP-Stadträtin und würden sich im Herbst über eine Wiederwahl freuen. Sie, Marcel Joss, kandidieren erneut für die FDP. Warum diese Nähe zum Freisinn?

 

Deborah Nyffenegger: Darf ich? – Man kann schon immer darüber reden, was die Stadt noch alles machen und bieten sollte. Die Ansprüche an Politik und Verwaltung sind heute enorm. Teilweise sind sie auch berechtigt. Im Grundsatz verfügen wir aber alle über ein persönliches Verantwortungsbewusstsein. Will heissen: Bevor ich Forderungen stelle, schaue und beurteile ich für mich selbst, wo ich eigenverantwortlich aktiv werden kann und vielleicht auch werden sollte. Wenn wir alle nach unseren Möglichkeiten einen persönlichen Beitrag zum Funktionieren unserer Gesellschaft leisten, können wir sicher noch mehr miteinander gestalten und bewirken, davon bin ich überzeugt.

 

Marcel Joss: Genau, Stichwort Eigenverantwortung. Das ist auch mir persönlich ein grosses Anliegen. Man kann nicht immer nur die Faust im Sack machen, man muss auch mal selber die Initiative ergreifen und Dinge zum Bessern verändern wollen. Im persönlichen Bereich kann das jeder und jede von uns tun. Ich selbst bin darüber hinaus bereit, Eigenverantwortung auch im Auftrag der Bevölkerung wahrzunehmen. Was mir zudem fehlt, ist teilweise die Nähe der Politik zum Volk. Deshalb kandidiere ich für den Stadtrat.

 

Patrick Jordi: Als Person, die vor rund 13 Jahren nach Langenthal gezogen ist, haben Sie vielleicht eine etwas andere Sichtweise auf die Stadt als Deborah Nyffenegger und ich, die beide hier geboren sind. Konnten Sie sich anfangs gut integrieren?

 

Marcel Joss: Ich habe mich in der Stadt von der ersten Minute an sehr wohlgefühlt und konnte mir relativ rasch ein Netzwerk aufbauen. Ich zog damals aus beruflichen Gründen von der Region Thun nach Langenthal. Einmal hier angekommen, stellt man sehr schnell einige Besonderheiten fest. Was Langenthal aus meiner Sicht einmalig macht, ist die Mischung aus Stadt- und Dorfcharakter. Einerseits hat Langenthal alles, was es für eine lebenswerte Existenz braucht – hochwertiger Wohnraum, ein breites Ladenangebot, eine funktionierende Wirtschaft, ein gutes Bildungs- und Freizeitangebot, die Nähe zur Natur. Trotz dieser Angebotsvielfalt ist die Stadt jedoch übersichtlich geblieben; die Einwohnerinnen und Einwohner sind bodenständig und sympathisch. Gepaart mit der Nähe zu grösseren Siedlungszentren wie Bern, Basel oder Zürich bietet Langenthal wirklich einen einmaligen Charakter.

 

Deborah Nyffenegger: Ich merke gerade, dass unsere Wahrnehmungen kaum voneinander abweichen. Als gebürtige Langenthalerin kann ich Ihre Aussagen voll und ganz unterschreiben. Unsere Stadt verfügt über eine hohe Lebensqualität. Dieses Gleichgewicht von «läbe – schaffe – wohne» geht für mich voll und ganz auf. Diese Qualität müssen wir versuchen zu halten und weiterzuentwickeln.

 

Patrick Jordi: Wo sehen Sie noch Verbesserungspotenzial?

 

Deborah Nyffenegger: Meines Erachtens können wir noch besser werden in der Kommunikation und beim Miteinbezug der Bevölkerung. Ich stelle in meinem persönlichen Umfeld fest, dass die Langenthalerinnen und Langenthaler durchaus etwas zu sagen und auch zur Gemeinschaft beizutragen hätten. Der Austausch zwischen Stadt und Politik auf der einen Seite sowie der Bevölkerung auf der anderen Seite klappt aber noch nicht – oder nicht mehr – so gut. Entscheide und Themen von Politik und Verwaltung sollten unbedingt besser, transparenter und verständlicher kommuniziert werden. Gleichzeitig müssen wir es schaffen, die Leute wieder stärker in den Entwicklungs- und Meinungsbildungsprozess mit einzubeziehen, und zwar generationenübergreifend.

 

Marcel Joss: Ich finde ebenfalls, die Lokalpolitik und die Verwaltung dürften für die Bevölkerung noch zugänglicher werden – damit die Mehrschichtengesellschaft, die sich meines Erachtens akzentuiert hat, wieder etwas aufgehoben werden kann und sich alle wieder mehr als eine Einheit fühlen können.

 

Patrick Jordi: Und wie wollen Sie dieses Ziele erreichen?

 

Marcel Joss: Das ist die grosse Frage. Mir ist bewusst, dass es bei einer pluralistischen 16’000-Seelen-Gemeinschaft einer Herkulesaufgabe gleichkommt, den Miteinbezug der Bevölkerung zu fördern und gleichzeitig in nachhaltige Bahnen zu lenken. Als politische Partei können wir jedoch versuchen, Möglichkeiten und Plattformen zu schaffen, auf denen sich die Bevölkerung einbringen kann.

 

Patrick Jordi: Konkret?

 

Marcel Joss: Es gibt ja bereits Versuche wie das monatlich stattfindende Café liberal der FDP oder das überparteilich organisierte Polit-Ratatouille. Doch selbst für diese sehr niederschwelligen und an sich zweckdienlichen Anlässe scheint die Hürde für viele Langenthalerinnen und Langenthaler noch zu gross zu sein. Viele Leute schreckt es ab, sobald ein Anlass einen parteipolitischen Anstrich hat. Vielleicht muss die richtige Plattform erst noch aus der Taufe gehoben werden. Eine Plattform, wo ein Meinungsaustausch unabhängig von Parteifarben, Meinungen et cetera möglich ist. Bis dahin und darüber hinaus tun wir politisch Engagierte gut daran, möglichst oft und wiederholt in der Öffentlichkeit und an Anlässen präsent zu sein. Dort lässt sich der Puls spüren und Ideen aus der Bevölkerung können weitergetragen werden.

 

Deborah Nyffenegger: Ich gehe mit Marcel Joss einig. Ausserdem finde ich, sollten wir den Austausch und die Zusammenarbeit unbedingt auch auf parteipolitischer Ebene wieder vermehrt fördern und leben. Ich selbst pflege bereits ein kooperatives Gedankengut, weil ich von meinem beruflichen Hintergrund her fortwährend überbetrieblich denken muss. Diese Herangehensweise möchte ich auch im Stadtrat vermehrt einbringen, damit wir auch dort noch stärker überparteilich denken können. Ich möchte mich mit Mitgliedern anderer Parteien mischen, mit ihnen ins Gespräch gehen und erfahren, wie sie auf ihre eigenen Meinungen kommen.

 

Patrick Jordi: Deborah Nyffenegger, Marcel Joss, vielen Dank, dass wir uns ebenfalls mischen und dieses interessante Gespräch führen konnten. Für heute ist unser Austausch aber leider zu Ende – die Zeit rennt.

 

Transparenzhinweis: Alle drei Gesprächsteilnehmenden kandidieren im Herbst 2024 auf der Stadtratsliste der FDP.Die Liberalen Langenthal.


Marcel Joss (50) ist 2010 mit seiner Familie aus Steffisburg nach Langenthal gezogen. Nach einer handwerklichen Grundausbildung und verschiedenen Tätigkeiten in unterschiedlichen Branchen war er seit 2011 als Geschäftsführer am Bildungszentrum Langenthal tätig und ist seit 2022 Rektor der Berufsfachschule Langenthal. In der Region engagiert sich Marcel Joss in der Bildungskommission der Region Oberaargau, dem Verein Berufsbildung Oberaargau sowie weiteren ehrenamtlichen Aufgaben. Politische Engagements haben sich bis jetzt vorwiegend auf berufliche Themen fokussiert. Privat geniesst er zusammen mit seiner Familie die Natur in und um Langenthal.

 

Das nehme ich aus dem Gespräch mit:

Die regionale Berufsbildung funktioniert dank engagierten Betrieben sehr gut, mit einem regelmässigen Austausch auf allen Ebenen können wir aber sicher noch besser werden und voneinander lernen.

 

 


Deborah Nyffenegger (47) ist seit 2024 Mitglied des Langenthaler Stadtparlaments und bereits das vierte Jahr in der Sozialkommission und als Kreisdelegierte politisch aktiv. Beruflich ist sie nach ihrer Ausbildung zur diplomierten Pflegefachfrau und diversen berufspädagogischen Weiterbildungen als Fachbereichsleiterin in der Regionalstelle Gesundheitsberufe Praktische Ausbildung tätig. Nebenamtlich ist sie ausserdem für verschiedene Bildungsinstitutionen als Lehrbeauftragte unterwegs. Ausserhalb ihres Engagements in Politik, Beruf und Familie ist sie in verschiedenen Vereinen aktiv und geniesst ihre Freizeit am liebsten beim Segeln, in ihrem Garten und unter Freunden.

 

Das nehme ich aus dem Gespräch mit:

Damit Betriebe Lehrstellen anbieten können und wollen, braucht es auch die Politik – sie ist mitverantwortlich, dass ein Umfeld geschaffen wird, in dem Unternehmen gut gedeihen können und Rahmenbedingungen für eine starke und zukunftstragende Bildung vorhanden sind.

 


Rendez-vous mit … | Eine Serie der FDP

Wie geht es den Langenthalerinnen und Langenthalern im Wahljahr 2024? Welche Themen beschäftigen sie? Was läuft gut in der Stadt? Wo unternimmt die lokale Politik noch zu wenig? Die Kandidierenden der FDP.Die Liberalen Langenthal wollen der Bevölkerung im Wahljahr und darüber hinaus den Puls fühlen. In der Serie «Rendez-vous mit …» treffen Amtsanwärterinnen und -anwärter der FDP auf Persönlichkeiten, die in Langenthal eine wichtige Rolle einnehmen und für die Stadt prägend sind. Aus den spannenden Gesprächen nehmen die Kandidierenden Inputs mit, die ins Programm der hiesigen FDP für die Legislatur 2024 bis 2028 einfliessen werden. Konkrete Veränderungen sind also das Ziel dieser Aufeinandertreffen. Alle Interviews zum Nachlesen gibt’s auf dem Blog der FDP.Die Liberalen Langenthal: www.liberaublau.ch. Bereits erschienen ist im Februar das Gespräch zwischen Parteipräsidentin Stefanie Barben und Braui-Wirt René Marti sowie im März das Gespräch zwischen FDP-Stadtrat Robert Kummer und Création-Baumann-CEO Philippe Baumann.

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